Warum die meisten Diversity-Initiativen Murks sind

|

Ich stelle mir vor: Ich sitze im Bewerbungsgespräch und mein:e potentielle:r Chef:in erzählt mir, wie wichtig Diversität in diesem Unternehmen ist. Entweder werde ich seeehr skeptisch und frage so viel nach, bis ich wirklich, wirklich überzeugt bin – oder ich suche gleich nach einer anderen Stelle.

Warum?

  1.  Erfahrung
  2.  Stell dir vor, du bist auf einer Party und jemand beginnt einen Satz mit „Ich bin ja nicht sexistisch …“ – was vermutest du, wie der Satz weitergeht?

Aber der Reihe nach:

Es ist in den Chef-Etagen angekommen: Diverse Teams sind in vielen Kontexten ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen.

Gleichzeitig könnten Frauen den Fachkräftemangel beheben. Da ist man doch gerne für Chancengleichheit.

(Randnotiz: Auch wenn Diversität ein sehr vielschichtiger Begriff ist, werde ich mich dem Thema vor allem anhand der Genderfrage nähern. Ganz einfach, weil ich damit die meisten Berührungspunkte habe. Ich freue mich über Kommentare, die auch andere Perspektiven mit einbeziehen.)

Nur leider ist nicht alles Gold, was glänzt. Initiativen für Chancengleichheit leiden oft unter mindestens einem der drei folgenden Punkte:

  •  Dilettantischer Ansatz
  •  Imprägnierung gegen (Selbst-)Kritik
  •  Strukturen bleiben unangetastet

Was meine ich mit „dilettantischer Ansatz“? Ganz einfach: Die meisten Entscheider:innen glauben, Diversität könnten sie mal so eben nebenbei fördern.

Fortbildung zum Thema? Expert:innen engagieren? Personal und Mittel dafür einplanen? Quatsch!

Ist doch einfach: Man stellt ein paar marginalisierte Personen ein – Frauen, Queere, Schwarze, Neurodiverse, … – und der Erfolg geht durch die Decke. Fertig. War da noch was?

Nö. *Ironie aus*

Und das bringt mich gleich zum zweiten Punkt: Imprägnierung gegen (Selbst-)Kritik. Erstmal klopft man sich auf die Schulter. Schließlich ist man so ein toller Typ (m/w/d). So fortschrittlich. Um aber doch ganz sicher zu gehen, unterhält man sich mit dieser einen netten Mitarbeiterin, die schon vor der Diversitäts-Initiative da war. Und – yay – die findet alles okay, so wie es ist. Fall erledigt.

Echt jetzt?

Was ist das denn für eine Datenerhebung? Welche wissenschaftliche Studie würde man ernst nehmen, die nur eine winzige Stichprobe auswertet? Und die womöglich auch noch auf Suggestivfragen oder Machtgefälle beruht? Keine.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich vermeintlich rational denkende Menschen verhalten, wenn es um Chancengleichheit geht.

Und wie wenig sie Menschen zuhören möchten, die vielleicht noch ein paar Anmerkungen hätten.

Aber was ist denn jetzt eigentlich das Problem? Es reden doch alle über Quoten. Wieso sollte das falsch sein, unterschiedliche Menschen einzustellen?

Ist es natürlich nicht. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es ist nur der erste. Genau genommen sollte es aber nicht einmal der erste sein. Besser der vorletzte.

Warum?

Man stelle sich vor, jemand wollte seinen Steingarten in ein Gemüsebeet verwandeln. Wäre der erste Schritt, Gemüsepflanzen zu setzen? Wie gut würden die Pflanzen wohl gedeihen? Mit Glück überleben es ein paar. Die anderen gehen ein – und das Fazit? Gemüse ist zu kompliziert.

Wenn man stattdessen erst die Steine beiseite räumt, den Boden auflockert, mit Nährstoffen anreichert und eine angemessene Wasserversorgung sicherstellt, ist das Ganze plötzlich kein Problem mehr.

Was im Gartenbau offensichtlich erscheint, wird beim Thema Diversity gerne vergessen:

Damit Vielfalt wirklich gelebt werden kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

Es ist im besten Falle naiv zu glauben, dass Strukturen, die für eine bestimmte Gruppe von Menschen ausgelegt sind, auch für alle andern funktionieren. Wunschdenken.

Leider passiert oft genau das: Die C-Etage überspringt wichtige Schritte und die Diversity-Initiative kommt ins Stolpern. Als Schlussfolgerung liegt dann nahe, dass die unterrepräsentierten Gruppen eben kein Interesse an Technik hätten. Oder nicht so gut performen. Schade. Aber da kann man nichts machen. Funktioniert einfach nicht. Too bad. *Ironie aus.*

Was ist das Ergebnis?

Zum Beispiel ein Szenario wie dieses: Am ersten Tag deiner neuen Stelle kommt dein Chef auf dich zu und erzählt dir, dass er Frauen in der Technik fördern möchte. Solltest du in puncto sexueller Belästigung negative Erfahrungen mit Kollegen machen, dürftest du dich vertrauensvoll an ihn wenden. Okay. Vielleicht fühlt sich das Ganze ein bisschen seltsam an. Aber da scheint schonmal eine gewissen Sensibilität da zu sein. Da könnte man darauf aufbauen.

Nur: Da hört es meist auch schon wieder auf. Leider.

Du darfst anders aussehen. Aber andere Bedürfnisse – die darfst du nicht haben.

Konkret kann so ein Arbeitsumfeld zum Beispiel wie folgt aussehen:

  •  Du musst im Großraumbüro arbeiten, obwohl du dich dort schlecht konzentrieren kannst. Dabei gäbe es genügend Ausweichmöglichkeiten.
  •  Deine Kompetenz wird angezweifelt, während viel Druck aufgebaut wird. Vermeintlich, um dich zu Hochleistungen anzuspornen.
  •  Remote zu arbeiten wäre problemlos möglich, wird dir aber nicht erlaubt – obwohl es aktuell besonders wichtig für dich und deine Familie wäre.
  •  Die Klimaanlage ist permanent auf die Wohlfühltemperatur von Männern eingestellt – die tendenziell ein paar Grad niedriger ist als die von Frauen.
  •  Dein Workload ist konstant hoch und lässt sich nicht zyklusgerecht anpassen.

Dies sind nur einige Beispiele, die verdeutlichen, wie eine Firmenkultur bestimmte Menschen bevorzugt. Das Nachsehen haben dann oft Frauen – aber auch andere Menschen, die nicht weiß, männlich, hetero, cis, neurotypisch und körperlich fit sind.

Ein beliebtes Argument ist, es wäre nicht fair unterschiedliche Standards zu schaffen.

Aber ist es denn fair, eine einzige Gruppe gegenüber allen anderen zu bevorzugen?

Grundsätzlich gilt also, dass für wirkliche Diversität auch Strukturen aufgebrochen und verändert werden müssen. Viele Hindernisse sind für Menschen in privilegierten Positionen nicht erlebbar und somit unsichtbar. Umso wünschenswerter wäre es, wenn sie ihre eigene Perspektive immer wieder herausfordern würden, statt Ungleichheiten wegzudiskutieren.

So könnte es gehen:

  1.  Mach dir deine eigenen Privilegien bewusst! Dafür gibt es zum Beispiel sehr umfangreiche Tests im Internet. Einfach mal googeln.
  2.  Setze dich mit deinen unbewussten Vorurteilen auseinander und tu was dagegen! Ja, das ist noch unangenehmer, als sich seiner Privilegien bewusst zu werden. Aber wenn du sie dir nicht bewusst machst, erlaubst du ihnen, dich und deine Entscheidungen weiter unbewusst zu beeinflussen. Und das fühlt sich dann für die marginalisierten Gruppen in deiner Umgebung so richtig scheiße an. Ein gutes Unconscious Bias Training könnte helfen.
  3. Lies! Es gibt so viel kluge Literatur zu Diskriminierungserfahrungen da draußen. Ein paar wichtige Themen sind zum Beispiel: Stereotype Threat, Mikroagressionen, Center-Margin-Theory, Intersektionalität, White Feminism, emotionale Arbeit, Tokenism, Gaslighting, Mansplaining, Gender-Pay-Gap (Jaaa, der „unbereinigte“! Oder glaubst du echt es wäre Zufall oder sogar gerechtfertigt, das systemrelevante, „weibliche“ Jobs mies bezahlt werden?), Gender-Time-Gap, Gender-Pension-Gap, Bro-Culture, … )
  4. Hör zu! Gerade dann, wenn es unbequem wird und du das Gehörte am liebsten wegdiskutieren möchtest. Deine Privilegien sind großartig, wenn du sie in Zukunft richtig einsetzt. Also gönn dir den Schmerz, dass es da noch was zu verbessern gibt. Wir können alle noch etwas lernen.
  5.  Setze dich für Strukturen ein, die Diversität fördern. Und zwar aus Respekt vor den Menschen, über die du in den vorangegangenen Schritten mehr gelernt hast. Wenn du in einer Machtposition bist: geil! Bezieh eine:n Expert:in mit ein. (Und: Nein, das ist nicht die eine marginalisierte Person, die zufällig mit im Team ist, sondern eine Person, die sich professionell mit dem Thema beschäftigt.)
  6.  Mache dir die Schritte 1-5 zur Gewohnheit.

Und wenn du feststellst, in deinem aktuellen Unternehmen werden deine Bedürfnisse ignoriert?

  1.  Such dir Verbündete!
  2. Mach – soweit möglich – immer wieder auf die Missstände aufmerksam.
  3. Stell klare Forderungen in deinem nächsten Feedback-Gespräch!
  4. Nimm professionelle Unterstützung z.B. durch Coaching in Anspruch! Weil andere dich hängen lassen, musst du das noch lange nicht auch tun.

Jetzt unterstützen lassen!

Schreibe einen Kommentar